Ein Ziel, Zeit und Langmut
Mein Garten ist ein Kleingarten. Eine Parzelle neben weiteren Parzellen mit Regeln und Jahreshauptversammlung und Gartenbegehung. Es gibt viele tolle, hilfsbereite Gartennachbarn, aber auch 200%ige Rasenfetischisten und naturferne Dauerumgräber. Wir haben Bienenstöcke, leihen uns Gartengeräte und führen nicht nur Gartengespräche über den Gartenzaun. Manches ist kurios und das meiste liebenswert. Trotz und wegen alledem ist meine Parzelle 57, ebenso wie mein kleiner Balkon, eine Oase, meine Oase in der Großstadt, das war er immer und ist es jetzt noch viel mehr, in diesen ungewissen und verwirrenden Zeiten.
Jetzt herrscht Corona, was bedeutet das für mich und meinen Garten? Ich sehe da einen Kreis, der sich schließt: Durch die Pandemie habe ich sehr viel mehr Zeit, die ich in meinem Garten verbringe, wodurch ich Ruhe finde und den Langmut, der mir hilft, diese Coronazeiten zu ertragen.
Ja, man merkt es, nicht? Ich fühle mich wegen meines Gartens privilegiert und verbringe jetzt, da ich so viel weniger Arbeit und so viel mehr Freizeit habe, fast jeden Nachmittag dort. Ich habe ein Ziel, wenn ich mal raus möchte aus meiner Wohnung – und dass wir nicht so begrenzt wurden wie in Frankreich oder Italien, dafür bin ich unendlich dankbar. Ich mache also keinen Spaziergang um den Block und setze mich auf eine Bank im Park, nein, mein Ziel ist der Garten. Ich arbeite morgens am heimischen Schreibtisch, packe etwas zu trinken ein, manchmal auch ein Buch, schwinge mich auf mein Rad und auf geht es, in meinen Garten.
Was hat sich mit dieser Pandemie verändert? Ich genieße meinen Garten anders, jetzt, da ich so viel Zeit habe, ich lasse mich nicht mehr von jedem Unkraut aufscheuchen, wenn ich gerade mal ein Päuschen mache und meinen Blick auf das vergraste Beet fällt. Dann ist es halt voller Gras, das werde ich auch noch entfernen, wenn die Zeit gekommen ist. Das schlechte Gewissen ist weg, ich sitze bequem und beobachte in Ruhe: Die riesigen Jostabeerensträucher, an denen die Insekten summen. Die neu angelegte Insekten-/Vogeltränke, an der Amsel, Meise und Co zum Baden Schlange stehen. Das zukünftige Tomatenbeet, auf dem anscheinend wirklich die jahrzehntealten Basilikumsamen keimen (denn endlich habe ich meine ganzen Samentütchen sortiert und säe sie tatsächlich aus). Den frisch gepflanzten Salat, der den Schnecken so vorzüglich schmeckt. Nun ja, auch die wollen leben und genießen.
Diese Zeit zum auf-mich-wirken-Lassen nehme ich mir sonst kaum, weil ich nicht die Schönheit, sondern nur die Arbeit sehe. Zwar räume, jäte, säe und pflanze ich jetzt sehr viel mehr als sonst, aber ich ruhe mich auch lange aus und lasse meine Blicke über meine Pflanzen streichen. Dabei plane ich mehr – nicht mehr auf Zetteln à la „ich habe da gelesen, das könnte ich doch auch …“ oder „ich sollte doch endlich …“, sondern unterm Sonnenschirm inspiriert von meinem Garten.
Für mich ist das Privileg dieser Pandemie Zeit. Das Privileg meines Gartens resultiert daraus und ist Ruhe, ist Inspiration, ist Entspannung, ist Langmut, ist ein freier Kopf und ein Gleichgewicht, das sich einstellt und das ich nicht mehr missen möchte. Es hat sich für mich und meinen Garten etwas geändert – ich werde es hüten und darüber wachen, damit ich es nicht wieder verliere.
Ruthild Kropp has a doctorate in German and biology and works as a freelance editor, author and translator. Her garden is her oasis in the big city.
Ruthild Kropp ist promovierte Germanistin und Biologin und arbeitet als freie Lektorin, Autorin und Übersetzerin. Ihr Kleingarten ist ihre Oase in der Großstadt.
www.ruthildkropp.de