„Die Besucher bleiben weg!“, so mein spontaner Gedanke, als mich Anke Schmitz kürzlich fragte, ob ich mich bei einem Schreibprojekt beteiligen wolle, bei dem es um das Thema „Gärtnern in der Coronakrise“ gehe. So banal meine Reaktion auch zunächst sein mochte, stellte sich mir die Frage, ob ausbleibende Gartenbesuche etwas an unserer Art zu gärtnern ändern. Und so sagte ich Anke zu, ohne bereits zu wissen, wohin mich diese Frage führen würde.
Als im Laufe der Coronapandemie klar wurde, dass wir in diesem Jahr nicht an den Tagen der offenen Gärten teilnehmen und Besuchergruppen ausbleiben würden, empfand ich zunächst eine deutliche Erleichterung, ja sogar Befreiung! Ein Druck fiel von mir ab, den ich jetzt um so deutlicher wahrnahm, als er sich aufzulösen begann. Ich sollte also in diesem Jahr in meinem eigenen Rhythmus gärtnern, ohne den Garten auf einen Termin hin trimmen zu müssen? Ich würde in meinen Gartenbereichen selbst bestimmen, wann ich was mache? Und unsere Gartenbänke tatsächlich nutzen, ohne durch eine Pusteblume im Blickfeld sofort wieder in die Aktivität verführt zu werden? Welch paradiesische Aussichten! Den Garten genießen, dafür sollte die Kulisse der deprimierenden Coronakrise den schützenden Rahmen bilden!
Und so einfach könnte es laufen, wären wir Gärtnerinnen und Gärtner nicht gleichzeitig noch Menschen, d.h. kompliziert! Auch unsere persönliche Gartensituation würde ich als kompliziert bezeichnen. Zu zweit begärtnern wir ein fast 2 ha großes Stück Land und zwar in unserer Freizeit, d.h. gefühlt irgendwann zwischen nie und immer! Jedenfalls immer dann, wenn uns die ganz anders geartete Erwerbstätigkeit und die üblichen Zumutungen des Lebens dafür Raum lassen. Eine solche Ausgangslage anderen Menschen gegenüber wiederholt als „Verwirklichung unseres Traumes“ zu bezeichnen, darf hier sicherlich als „kompliziert“ gelten! Ich tröste mich übrigens ab und an mit dem Gedanken, dass sich auch andere Mitmenschen in verwandelter Weise ähnliche Lebenssituationen schaffen und ein kleinerer Garten nicht automatisch vor solcher Dummheit schützt.
Um aber wieder unseren Faden, das Ausbleiben von Gartenbesuchen, aufzugreifen: Es scheint mir nicht nur meine persönliche Lebenssituation zu sein, die das Herannahen von Besuch zu einer schier unlösbaren Aufgabe werden lässt, es gibt etwas unmittelbar am Besucher, was sein Erscheinen nicht nur in heiteren Farben erstrahlen lässt: nämlich sein Blick und damit seine Macht, unseren Garten zu beurteilen!
Findet unser Garten beim Besucher Gefallen? Ich möchte das öffentlich bekennen: Dies macht mir Druck! Keinen, den ich nicht aushielte, ich möchte ja hier nicht als Memme dastehen, aber er ist da. Und dieser Druck verschwindet nicht etwa dadurch, dass er in Form des Lobes daherkommt. Besucher schmuggeln – oftmals ungewollt und ohne Absicht – Druck mit in den Garten. Dies ist so sicher wie der Giersch in geschenkten Pflanzentöpfen!
Also: Keine Besucher, kein Lob und keine Kritik = sorgenfreies Gärtnern. So könnte man den Zwischenstand dieses Essais zusammenfassen! Aber – und dies muss ehrlichkeitshalber gesagt werden – der von mir gespürte Druck fällt nicht im gleichen Maße weg wie die Anzahl der Besucher! Es ähneln Besucher hierbei ganz dem Regen: Je seltener er kommt, desto höher seine Bedeutung.
Und wie oft habe ich schon erlebt, dass sich Besucher gar nicht für mein Unkraut interessierten, sondern von gelungenen Gartenpartien angezogen wurden, während ich schamvoll auf den blau blühenden Gundermann blickte, den ich noch nicht aus dem goldlaubigen Storchschnabel entfernt hatte? Sollten wir am Ende selbst unsere unangenehmsten Gäste sein?
Es würden dann auch ohne Gartenbesucher Gartenbesuche stattfinden, indem wir uns selbst heimsuchen mit übergroßen Erwartungen und scharfer Kritik. Der leibhaftige Besucher ist nicht der Kern des Problems, die Erleichterung angesichts seines Fortbleibens entpuppt sich als Chimäre und wärt nur kurz. Dafür sorgen wir schon selbst!
Warum aber sind wir Menschen (und hierunter würde ich uns Gartenwesen trotz aller gebotenen Zweifel letztlich doch einordnen) so wenig ruhend in uns, warum so abhängig vom Blick, sei es der Blick des Anderen, sei es der Blick des Anderen in uns?
Vermutlich wurzelt dies in der menschlichen Grundkonstitution, dass wir nicht in dem aufgehen, was wir gerade tun oder was wir gerade sind. Wir stehen im Leben und gleichzeitig wie ausgeschlossene davor! „Mehr – als – Leben“, so lautet die Formel des Philosophen Simmel für den Menschen. Jede Lebenssituation weist über sich hinaus, für den Menschen ist nichts einfach nur da, sondern will gedeutet und verstanden werden. Und es muss, soll, darf gedeutet werden, weil es durch keine Natur, keinen Instinkt, keine Prägung festgelegt wurde. Alles, was wir tun, wird somit zu einem individuellen Ausdruck. Egal, wie wir uns kleiden, häuslich einrichten, welches Essen wir wählen oder eben wie wir gärtnern: nie ist es „selbstverständlich“, immer ist es eine Wahl, ob bewusst oder unbewusst.
Wir formen unser Herz zu einem Garten! Und da liegt es dann, verwandelt zu Wegen, Mauern und Blüten. Aber auch zu Spätfrostschäden, Trockenheit und Unkraut. Dies ist der Nährboden für Zweifel vielfältigster Natur. „Sollte ich dieses Gehölz nicht besser ersetzen?“, „Wenn ich das Beet nochmals neu gestalte, lasse ich die Campanula weg.“ So oder so ähnlich lauten dann unsere Sätze. Der Zweifel wird damit zu einem nur für den Preis einer Persönlichkeitsstörung wegzudenkenden Konstituens allen menschlichen und damit auch allen gärtnerischen Lebens.
Unser Leben ist einer Theateraufführung gleich, bei der das Theaterstück während der Aufführung erst entsteht, für das wir daher auch nicht üben konnten. Konventionen und Moralisierungen versuchen manchmal die Textlücken zu kaschieren, indem sie vorgaukeln, zu wissen, wie es im Leben zu laufen habe. Sie haben aber nur so viel Macht, wie ihnen Menschen folgen, weshalb abweichende Minderheiten schnell Hass auf sich ziehen.
Aber ganz so weit wollen wir Gärtnerinnen und Gärtner es nicht kommen lassen, obwohl wir angesichts zahlloser Gartenstile davon sicherlich nicht ganz frei sind. Die von diesen Engherzigkeiten befreiende Erkenntnis lautet, dass jenseits kategorisierender Gartenstile ein jeder Garten einzigartiger Ausdruck seiner Besitzer ist und damit Ausdruck ihres intimsten Kerns, ihrer Weise zu leben. Der Garten als Bühne, die Wege, Mauern als Kulisse, die Bepflanzungen als Stück, wir selbst Regisseure, ohne je eine Theaterschule besucht zu haben!
Daher lieben wir Besucher, die behutsam und gleichsam tastend unseren Garten nachvollziehen möchten und die verstehen wollen, wessen Herz da schlägt. Und so muss ich meine anfängliche Empfindung der Erleichterung angesichts fortbleibender Besucher, wenn nicht korrigieren, so doch ergänzen: Ich spürte und spüre auch ein Bedauern.
Denn es gibt sie: die wunderbaren Begegnungen in unseren Gärten, bei denen wir alles, was wir noch glaubten, erledigen zu müssen, vergessen. Wir werden ruhig, hören zu und berichten, vergessen die Zeit, vergessen das Unkraut, und sehen unseren Garten als unsere unzulängliche, aber persönliche Antwort auf die Frage, die uns allen gestellt ist: „Wie hältst Du es mit dem Leben?“