Als ich den Garten fand
Letzten Herbst bin ich durch Zufall auf die Unigärten gestoßen. Das ist eine Initiative der Uni, um mehr Grün in den Studienalltag zu bringen. Dort gibt es das Angebot, dass alle Studierenden, die Interesse haben, ein Beet bestellen, ohne dafür bezahlen zu müssen. Bei mir kam alles zusammen. Ich wollte schon lange einen besseren Weg finden, ökologisch an Gemüse und Obst zu kommen. Ich fand die Idee von Gärten auf dem Campus wundervoll und ich wollte endlich das Gärtnern lernen. Ich habe mich also angemeldet und wurde erst einmal enttäuscht, weil die Saison schon vorbei war. Den Winter über ist die Begeisterung in mir dann aber weiter gewachsen. Ich fand Blogs wie @tidyniceandneat von Franzi, @hauptstadtgarten von Caro oder @krautkopf. Dafür bin ich jetzt besonders dankbar. Bevor ich solche Blogs gelesen und mich wirklich damit befasst habe, dachte ich, zum Gärtnern müsste man das bestimmte Talent haben und vor allem einen großen Garten. Aber als ich im Februar die ersten Samen in Aussaatschalen ausgesät habe, hat sich etwas in mir bewegt. Ich mache nicht, dass die Pflanze wächst. Die Pflanze macht das selbst, das ist Leben, dem ich Platz in meinem Wohnzimmer auf der Fensterbank gebe.
Als Anfang März der Shutdown kam und ich wegen der Coronabeschränkungen kaum noch raus durfte, habe ich mich um Setzlinge gekümmert und Stunden damit zugebracht, zu vereinzeln, Erde in kleine Töpfchen zu füllen und neu auszusäen. Die Radieschen sind besonders nett zu mir gewesen. Ich habe sie schon ab März in Bauschuttkisten auf dem Balkon gezogen und ein paar Woche später die ersten geerntet. Wie konnte so etwas Schönes entstehen, während auf der Welt so viel Schlimmes geschah? Ich glaube an Gott und habe ihm in diesen Wochen besonders viele Fragen über Leben und Tod gestellt. Dabei saß ich oft in dem weißen Plastikstuhl am Beet und betrachtete die kleinen Mangoldblätter. Eine andere Initiative der Universität betreut Bienenstämme ganz in der Nähe unseres Gartens. Sobald ich morgens mit meinen Kaffee am Beet vorbeigehe, fliegen sie mir brummend entgegen.
Als mein erstes Pflänzchen vertrocknet ist, weil es zu lange in der Sonne stand, tat das weh. Aber je öfter das passiert ist und je mehr Pflanzen ich erfolgreich an der Uni in das Beet gesetzt habe, desto stärker wurde meine Überzeugung, dass ich gerade ein Geheimnis entdeckte. Mich um die Pflanzen zu sorgen hat mich davon abgehalten, mir zu viele Sorgen um Corona zu machen.
Dadurch dass meine Uni wegen Corona auf Onlinebetrieb umgestiegen ist, sitze ich den ganzen Tag in meiner Wohnung am Schreibtisch. Der Garten ist deshalb momentan mein wichtigster Grund, um das Haus zu verlassen. Mich um die Pflanzen zu kümmern, gibt mir eine klare Tagesroutine, ohne die ich in dieser Zeit sicher seelisch auf Grundeis laufen würde.
Es war und ist vor allem die Arbeit im Freien und mit dem Grün zwischen meinen Fingern, die mir hilft. Ich bin eine eher ruhige Person und brauche immer wieder meine Auszeit vom Trubel der Welt. Darum lese ich viel und schreibe viel, aber gegen die erdrückende Stille, die Corona mit sich brachte, hat das nicht geholfen. In meinem Kopf liefen gerade in den ersten Tagen des Shutdowns alle Rechner auf Hochtouren. Die jungen Karottenpflänzchen dagegen blieben von allem Trubel und jeder Panik ungerührt. „Wenn Gott sogar das Gras so schön wachsen lässt, das heute auf der Wiese grünt, morgen aber schon verbrannt wird, wie konnte er euch dann vergessen?“ (Matthäus 6.30) Die Pflanzen schenken mir Ruhe und gleichzeitig eine Beschäftigung. Durch sie sehe ich, dass immer alles weitergeht und wir, die Menschen, nicht das endgültige Maß der Dinge sind. Aber das Wichtigste ist, wie auch bei Büchern: Pflanzen lieben jeden, der sich um sie kümmert. Und Liebe brauchen wir in dieser Zeit ganz besonders.
Veronique studiert Europäische Literaturwissenschaft an der Universität des Saarlandes. Durch die Unigärten kam sie eher zufällig zum Gärtnern und ist noch immer erstaunt, wie schnell es sie begeistert hat. Sie kann nicht mehr an Pflanzen vorbeigehen, ohne sich vorzustellen, wie sie als kleine Setzlinge aussahen, und sich zu fragen, welche Pflege sie brauchen.