Der Garten ist wie ein guter Freund
Mein Berliner Schrebergarten ist mit seinen 280 qm relativ klein, dennoch empfinde ich es als riesiges Privileg, diese Fläche gestalten und genießen zu können – gerade in der seit ein paar Jahren immer enger werdenden Großstadt. Hier pflanze, pflege und ernte ich eine große Vielfalt an Obst, Gemüse und Blumen. Zwischen Wohnungstür und Gartentor liegen ca. 30 Minuten Weg, den ich mit dem Rad oder der Straßenbahn zurücklege. Für alle Nicht-Berliner: Nicht erschrecken – eine halbe Stunde ist hier eigentlich die minimale Zeitspanne, um irgendwo außerhalb des eigenen Kiezes hinzukommen. Auch in normalen (Garten-)Jahren verbringe ich, bedingt durch meinen Job als Visual Designerin, meine beiden Kinder und verschiedene Projekte tendenziell weniger Zeit im Garten, als ich mir wünschen würde und spätestens nach ein paar Tagen entsteht eine schaurig-schöne Sehnsucht, wie nach einem guten Freund, den man einfach ganz dringend mal wieder sehen möchte.
Vor zwei Jahren habe ich begonnen, mir ein Ritual zu schaffen – ich nenne es „grünes Büro“. Einen Tag in der Woche arbeite ich tatsächlich im Garten. Meist an Projekten wie meinem Buch „Abenteuer Garten“, für die ich dort z.B. fotografiere, aber auch um im Schatten unterm Apfelbaum zu sitzen und zu schreiben – wie jetzt diesen Text. Nachdem Abenteuer Garten 2018/19 die Zeit mit meinem „grünen Freund“ sehr bestimmt hat, könnte es jetzt eigentlich ganz entschleunigt und entspannt sein. Unterm Apfelbaum sitzen, mit einer Tasse Kaffee in der Hand nach oben gucken und den Bienen der imkernden Gartennachbarin bei ihrer alles andere als kontaktlosen Blüten-Party zusehen …
Da ich als Designerin in einem e-Health-Unternehmen arbeite und meine beiden Kinder gerade „zuhause zur Schule gehen“, hat Corona statt der gewünschten Entschleunigung leider eher Verdichtung und Zeitdruck mit sich gebracht. So verbringe ich einen Großteil des Tages in virtuellen Konferenzen, gestalte Gesundheits-Apps, halte nebenbei als System-Administrator die IT der Familie am Laufen und schüttle irgendwann zwischendurch ein Mittagessen aus dem Ärmel.
Aber wie viele Sachen, die knapp sind, wird durch die aktuelle Situation die Zeit im Garten noch wertvoller. Er ist der Ruhepol für mich, an dem ich auch mal alleine sein und die Zeit vergessen kann. Dieser Tage nehme ich oft bewusst keinen Laptop mit und genieße es besonders, etwas mit den Händen zu machen. Säen, schneiden, mulchen und zwischendurch immer wieder innehalten und staunen. Meine „Geheimwaffe“ für Tage mit düsterer Stimmung: Komposthaufen umsetzen. Danach bin ich dreckig und geschafft und meine Laune hat sich nebenbei meist von ganz alleine repariert. Zwei der vier Kompostmieten sehen dank Corona schon ganz adrett aus – die beiden anderen warten noch auf ihren Einsatz als Stimmungs-Aufheller.
Ich hoffe, dass ich im Verlauf des Sommers meinem grünen Freund – dem ich in den letzten beiden Jahren als lebendes Fotomodell für den Garten-Ratgeber wirklich einiges abverlangt habe – etwas von mir zurück geben kann, indem ich entspannt unterm Baum sitze und mich ihm – ohne Hintergedanken ans nächste Fotomotiv – nochmal von einer ganz anderen Seite nähere. Denn gute Freundschaft beruht ja bekanntlich aus Geben und Nehmen.
Für meine Leser – von denen viele gerade erst in ihr Abenteuer Garten starten – freue ich mich besonders, dass sie sich gerade in dieser verrückten Zeit einen grünen Ort erschließen können. Ich werde sie über Instagram gerne auf diese schöne Sammlung an Gartengeschichten hinweisen und bin gespannt, ob einige von Ihnen sogar Lust haben, ihre eigene beizutragen.
Carolin Engwert schreibt auf Ihrem Blog und bei Instagram über Nützliches, Schönes und Merkwürdiges aus Ihrem (Ost-)Berliner Schrebergarten. Am liebsten hätte sie immer in der einen Hand eine Gartenschere und in der anderen ein Handy, denn es gibt immer etwas zu schneiden, zu fotografieren, oder aufzuschreiben. Carolins Lieblingsgemüse ist der asiatische Wasserspinat (Ipomea aquatica).
Instagram www.instagram.com/hauptstadtgarten
Abenteuer Garten www.hauptstadtgarten.de/gartenbuch