brunhilde, langenburg – germany

Für viele Menschen in meinem Umfeld wurde der Garten in Corona-Zeiten zum Rückzugsort, zu einem Stück heile Welt, in dem sie viel mehr Zeit als zuvor verbrachten und über den sie sich mehr Gedanken machten. Ich merkte das auch daran, dass Freunde und Bekannte mal schnell einen Rat, einen Tipp für eine Gestaltung oder für die Pflanzenwahl von mir haben wollten. Warum kommen die gerade jetzt damit an, fragte ich mich, grade jetzt, wo ich meinen Kopf ganz woanders habe. Wo ich mit Fragen um Leben und Tod konfrontiert bin und mir Trivialitäten wie etwa Rosen- und Staudensorten so was von egal sind, noch dazu in anderer Leute Gärten.

Mich zwang die Corona-Situation zur Auseinandersetzung mit dem Sterben. – Mein Blog-Beitrag handelt von meiner Mutter, die zum Opfer der Corona-Schutzmaßnahmen wurde und die jetzt begraben im „letzten Garten“, nämlich auf dem Friedhof, liegt.

Meine Mutter und ich hatten über Jahrzehnte uns ergänzend die Gärten der Familie bewirtschaftet und uns daraus zu einem großen Teil mit Obst und Gemüse versorgt. Bis zum Herbst 2017 war meine Mutter noch aktiv im Garten tätig, bis nach einem Sturz und zunehmender Demenz nichts anderes übrig blieb, als sie im Pflegeheim unterzubringen. Mit den drei Gärten der Familie war ich daraufhin fast völlig allein. Ich machte das Beste daraus, indem ich diese Überforderung in ein Buchprojekt „Viel Garten, wenig Zeit“ umformte und so für mich zum Positiven wendete.

Während meiner häufigen Besuche im Pflegeheim sprach meine Mutter oft davon, dass sie in den Garten müsse, etwas tun müsse. Ich versuchte, sie am jahreszeitlichen Ablauf in ihrem Garten teilhaben zu lassen, indem ich ihr Blumen und Früchte – Erdbeeren, Stachelbeeren, Kirschen, Weintrauben – mitbrachte. Das hätte noch eine ganze Weile, vielleicht sogar Jahre, so weitergehen können. Doch dann kam am 14. März 2020 die Besuchssperre. Und die brachte ihr den Tod. Sie starb 91-jährig am 30. April, grade mal sechs Wochen nach Eintritt der Sperre – nicht am und auch nicht mit dem Virus, sondern infolge des unmenschlichen Besuchsverbots. Da wollte sie nur noch sterben und aß einfach nichts mehr. Meine Geschwister und ich konnten sie am Tag vor ihrem Tod noch aus dem Pflegeheim retten, so dass sie wenigstens in vertrauter Umgebung sterben durfte.

Das Corona-Geschehen funkte weiter in die Bestattung hinein. Das Bestattungsunternehmen legte uns eine Urnenbeisetzung nahe. Das wollten wir nicht, und unsere Mutter hätte das auch nicht gewollt. Eine Erdbestattung war nicht verboten. Ein Abschiednehmen am offenen Sarg, wie sonst üblich, war in Corona-Zeiten allerdings nicht möglich.

In der Zeit zwischen dem Tod und der Beerdigung blieb ich meiner Mutter nahe. Am Tag vor der Beerdigung wurde das direkt zwischen Leichenhalle und der Kirche liegende Grab ausgehoben. In dem Familiengrab waren bereits mein Vater, meine Großeltern und die Urgroßeltern mütterlicherseits beerdigt worden. Den Aushub verfolgte ich mit, weil ich zuvor noch Pflanzen vom bestehenden Grab weggeräumt hatte und auch weil mich berufsbedingt der technische Ablauf von Beerdigungen interessiert. (Über Grabgestaltung und Friedhofskultur habe ich im Laufe meines Berufslebens immer mal wieder Artikel geschrieben.) Der Friedhofsbagger schaufelte Ladung um Ladung Erde aus dem Grund; ein mächtiger Hügel türmte sich neben dem Grab auf. Mir fiel das einheitlich lehmige, fast steinfreie Erdreich auf. Das wunderte mich, denn der Boden ist in der Umgebung des Kirchhofs flachgründig und reich an Steinen. Vermutlich war da im Zuge des Kirchenbaus vor Hunderten Jahren gute Erde aufgeschüttet worden. Die Leute vom Bestattungsunternehmen deckten die Grube und den Hügel mit Kunstrasen ab.

Gleich nach der Beerdigung am 8. Mai wurde das Grab zugeschüttet und das ausgebaggerte Erdreich darüber zum Hügel aufgehäuft. Das Sargbukett mit Rosen und Pfingstrosen Ton-in-Ton legten wir obenauf. Nach dem Abräumen der Trauergestecke fragte ich mich, wie ich mit dem Grabhügel umgehe – da fühlte ich mich mit meinem bodenkundlichen und botanischen Wissen auch fachlich angesprochen. Der Grabhügel bleibt auf dem ländlichen Friedhof den Sommer über aufgehäuft, da sich das Erdreich setzen muss. Erst zum Winter hin wird das überschüssige Erdreich abgegraben und vom Friedhof weggebracht werden. Und nach etwa einem Jahr wird die steinerne Umrandung und der Grabstein wieder gesetzt werden.

Also, was tun mit dem Hügel, der tatsächlich die Form eines hoch aufgeschütteten Hügelbeetes hat? Einige Dachwurze (Sempervivum) von der ursprünglichen Bepflanzung des Familiengrabes tauchten an der Oberfläche auf. Die drückte ich fest. Dann säte ich kurzerhand eine Blumenmischung obenauf und um die Basis des Hügels Büschelschön (Phacelia tanacetifolia). In der Zeit nach der Aussaat regnete es zum Glück immer wieder, so dass die Saat schnell aufging. Das Grab meiner Mutter wird sich also in eine Blumenwiese verwandeln. – Ganz im Sinne meiner Mutter, und auch in meinem. Bei meinen Besuchen im „letzten Garten“ sollen Bienen und Schmetterlinge um mich herum schwirren. Lebendiges soll um mich herum sein!

Dr. Brunhilde Bross-Burkhardt ist freie Fachjournalistin. www.bross-burkhardt.de

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