Es ist nicht mein erster Garten, den ich in den vergangenen 30 Jahren angelegt habe. Aber sicherlich der kleinste mit geschätzt 100 Quadratmetern. In einer Stadt wie Stuttgart, in der man Quadratmeter mit Gold aufwiegen kann, ist so ein kleines Stück Erde von unschätzbarem Wert. Erst recht in Zeiten von Corona, in denen der Garten zum erweiterten Wohnzimmer wurde.
Meine Vermieterin konnte kaum glauben, dass ich freiwillig das zur Wohnung gehörende Stück Garten pflegen wollte. In zwei Jahren habe ich das vernachlässigte Stück Hang in einen bunten Dschungel verwandelt, dass mich die vorbeigehenden Passanten ansprechen. Gerade in den vergangenen Monaten war es sehr nett, auf diese Weise den einen oder anderen Schwatz mit fremden Menschen zu halten, der ohne Corona vielleicht gar nicht zustande gekommen wäre.
In der Anfangszeit des Gartens habe ich vor allem Mauerpfeffer gejätet, der flächendeckend wuchs. Eingezogen sind Pflanzen aus dem alten Garten, Sämlinge und viele Geschenke von Gartenfreundinnen, dazu gezielt Gekauftes. Ein buntes und doch sortiertes Mit- und Durcheinander, das durch viele sich aussamende Pflanzen stetig im Wandel ist.
Durch das Homeoffice war mehr Zeit, zu beobachten, auch wenn für mich die Corona-Zeit mit einem deutlich erhöhten Arbeitsvolumen und endlosen Telefonkonferenzen bis in den Abend einher kam. Statt abendlicher Gartenrundgänge im Halbdunkel konnte ich tagsüber den Wandel des Lichts und den Austrieb im März und April miterleben. Dabei gabt es immer wieder Überraschungen: Die uralten namenlosen und völlig verwachsenen großen Rosen wurden im ersten Jahr mit der Säge gestutzt und blühen in diesem Jahr in einer unglaublichen Pracht in rosa-gelb. Als blau gepflanzte Verbascum-Sämlinge entpuppten sich als zart weiß-rosa und die im letzten Jahr blütenlos mickernden Martagon-Lilien stehen wunderbar da.
Der Garten ist für mich schon immer Refugium. Die Garten- und Naturgene habe ich von meinen Eltern geerbt. Ganz besonders war er es in den letzten Monaten – schnell mal während zermürbend langer Homeoffice-Tage vor die Tür zu gehen und durchatmen. Einfach das Grün genießen, das so unbeeindruckt von dem ganzen Zirkus statt Shutdown dem Shoot-Up frönte. Den Vögeln zuhören, wie sie singen, und schauen, dass mir die dicken Holzbienen nicht gegen den Kopf fliegen. Was für ein Glück!
Sylvia Knittel, Jahrgang 1964, leitet seit vielen Jahren die Unternehmenskommunikation eines Versicherungskonzerns. Sie liebt es, draußen zu sein und ihr kleines Stück vom Grün dieser Erde vor ihrer Wohnung. Sie fotografiert leidenschaftlich und pflegt ihren Blog zu den Themen Fotografie und Garten unter www.sylviaknittel.de. Zudem hat sie kürzlich mit Gartenfreundinnen eine Plattform für virtuelle Vorträge für Botanik-Interessierte und Gartenliebhaber gegründet, den campus botanicus unter https://campus-botanicus.de/.
Instagram: SylvieKah